Das ITM bei der Langen Nacht der Wissenschaften 2015

Erfahrungsräume – Raumerfahrungen: Raumtransformation mit performativen, installativen, interaktiven und Vortrags-Beiträgen

Vom Theater in den Orbit, über den virtuellen Raum nach Paris oder Bayreuth, gegen die Schwerkraft in Schattenwelten, durch den Nebel in den Mikrokosmos? Raum ist nicht nur etwas objektiv und physikalisch Gegebenes, sondern immer auch etwas Relationales, das sich aus Handlungen und Ereignissen konstituiert. Techniken und Medien erweitern unsere Vorstellung von Räumen ins mikroskopisch Kleine, in unendliche Weiten, in katastrophische Einsichten. Theater und Medien partizipieren in besonderer Weise an der Erweiterung dieser Relationalität, Theater- und Medienwissenschaft an deren Erforschung. Das Experimentiertheater als dynamischer Erfahrungsraum wird zum Ausgangspunkt für immer neue Raumerfahrungen. Innerhalb einer Stunde transformieren sich kontinuierlich die Raumsituationen während sich unterschiedliche performative, interaktive, installative Beiträge und Vorträge abwechseln.

Ort: Experimentiertheater (Bismarckstraße 1, Untergeschoss)

Weitere Programminformationen und Kartenvorverkauf unter:
www.nacht-der-wissenschaften.de.

Programmkoordination ITM: Anna Kampen, Eva Kallweit
Mitarbeit: André Studt, Hans-Friedrich Bormann

Programm (18 bis 22 Uhr):

18-22 Uhr: »FaceIT« Interaktive Videoinstallation von Matthias Hartmann und Pit Trautner

Die interaktive Videoprojektion verbindet den realen mit dem medialen Raum, indem Bild und Ton dynamisch auf den Besucher reagieren. Der „User“ beeinflusst durch seine Positionierung und Bewegung im Raum das Geschehen auf der Leinwand, so dass in dem Interface der Installation eine durchgängige Akzentuierung des räumlichen Bezuges zwischen Betrachter und Betrachtetem – oder zwischen der Sphäre des Realen und der Sphäre des Medialen – stattfindet. FaceIT bietet ein interessantes Raumerlebnis, das sich abseits von greifbaren physikalischen und objektiven Räumen bewegt und somit einen „dritten Raum“ etabliert: einen Raum der Beziehung, des Virtuellen, des Interaktiven.  – Die Installation wurde in Kooperation mit dem österreichischen Videokünstler Klaus Obermaier konzipiert und während des Sommersemesters 2015 im Rahmen eines Projektseminars durch Studierende des Instituts für Theater- und Medienwissenschaft umgesetzt.

18 Uhr und 20 Uhr: »Opulenz oder Askese? Pariser Oper vs. Bayreuther Festspielhaus«. Ein interaktiver Vortrag von Bettina Brandl-Risi und Clemens Risi
Bild: FAU/Georg Pöhlein

Zwei theatrale Raumkonzepte aus derselben Zeit (1875/76), die unterschiedlicher nicht sein könnten und die größten Kontrahenten der blühenden Thea- terkultur des 19. Jahrhunderts verkörpern: Absolute Konzentration auf Musik und Szene im dunklen Zuschauerraum (das Bayreuther Festspielhaus) gegen Sehen und Gesehen Werden als gar nicht so nebensächlichem Zweck des Theaterbesuchs (die Pariser Oper Palais Garnier). Kunst gegen Kulinarik. Wer gewinnt Raum? Welcher Raum gewinnt? – Prof. Dr. Bettina Brandl-Risi und Prof. Dr. Clemens Risi werden den beiden Räumen ein Gesicht geben und ihre Errungenschaften, Probleme und Ideologien, ihre historische Bedeutung und ihre Zukunftstauglichkeit vermessen. Eine Spielanordnung, deren Ausgang ungewiss ist – denn das Publikum entscheidet!

ca. 18:40 Uhr / ca. 20:20 Uhr: »Area Bombing: Historische Luftaufklärungsbilder«.Eine Installation von Lars Nowak

Die Fotoinstallation Area Bombing nimmt sich des Themas Erfahrungsräume – Raumerfahrungen im Kontext des Krieges an, der im 20. Jahrhundert durch die Eroberung des Luftraumes mittels des Flugzeuges eine radikale Veränderung erfuhr. Seither fallen aus der Luft nicht nur die Bomben; auch ein großer Teil der militärischen Feindaufklärung wird nun von dort betrieben, wobei fotografische Luftbilder die Bombardierungen zunächst vorbereiten und anschließend bei der Abschätzung ihres Wirkungsgrades helfen. Um diese Raumrevolution anschaulich werden zu lassen, greift die Installation ein ortsnahes Beispiel auf, nämlich die fast vollständige Zerstörung der Stadt Nürnberg durch die westalliierten Luftbombardements des Zweiten Weltkrieges, die bis heute ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen haben. Dazu kombiniert sie historische Luftaufklärungsbilder mit neuen Aufnahmen und verteilt diese Fotografien auf drei hängende Würfel, die den zum Schlachtfeld gewordenen Luftraum markieren, und einen liegen- den Würfel, der es dem Betrachter erlaubt, selbst die Vogelperspektive des Luftaufklärers einzunehmen. – Die Installation wurde im Sommersemester 2014 im Rahmen eines gleichnamigen Bachelor-Projektseminars unter der Leitung von Dipl.-Ing. Roman De Giuli und Prof. Dr. Lars Nowak erarbeitet.

19 Uhr: »Trümmer betreten. Der Kriegsheimkehrer im deutschen Trümmerfilm«. Vortrag von Kay Kirchmann

Es waren nie zuvor gesehene Erfahrungsräume, in die nach 1945 die deutschen Kriegsheimkehrer eintraten: entdifferenzierte urbane Gewebe, Trümmerlabyrinthe, Skelette ehemaliger Heimstätten, kurz, das, was v.a. der Luftkrieg von den Großstädten übrig gelassen hatte. Der deutsche Trümmerfilm nimmt sich in der zentralen Gestalt des männlichen Kriegsheimkehrers dieser neuen Erfahrungsräume an und inszeniert den Wiedereintritt in die Heimat als eine Krise des Raumes und der Raumbezüge. Wo es überhaupt noch intakte Innenräume gibt, so bleiben sie den Protagonisten oft verschlossen, sind von Fremden besetzt oder völlig unbewohnbar geworden. Diese Erfahrung einer ihr Ziel verfehlenden Bewegung hin zu den ehemaligen Schutz- und Besitzräumen führt letztlich zur völligen Absage an die Sinnhaftigkeit und Zielgerichtetheit der Bewegung schlechthin. Wo es keinen fixen Bezugspunkt der Bewegung mehr gibt, wo die angestrebte Heimkehr wortwörtlich ins Leere läuft, verliert auch der Imperativ von Aufbruch und Fortbewegung jedwede Relevanz – was bleibt, ist die Starre der melancholischen Handlungslähmung. Der Vortrag rekonstruiert diese kinetischen und visuellen Register, mittels derer der Trümmerfilm die traumatische Rückkehr in zerbombte Stadt- und Innenräume filmisch inszeniert.

ca. 19:40 Uhr: »Aus der Neuen Welt«: Licht und Ton als Materialien zur Raumkonstruktion. Lichtdesign von Gerd Budschigk

Ob ein Raum groß oder klein wirkt, ob er uns bedrückt oder sich weit vor uns auftut, das liegt nicht allein an seinen architektonischen Grenzen. Ohne die Mauern zu versetzen, kann er uns Platz bieten oder einengen, denn unsere Wahrnehmung von Räumen wird oft weniger von seinen physikalischen Maßen als von seiner Atmosphäre bestimmt. Die Atmosphäre ist keine statische Eigenschaft, sie entsteht zwischen den Dingen, sie erfüllt den Raum. Sie wird nicht gemessen, sondern gespürt und erlebt. Ist der Raum hell oder liegt er im Zwielicht, schluckt er die Geräusche oder hallen sie in ihm wieder, ist er von Lärm erfüllt, totenstill, lichtdurchflutet oder liegt er im Dunkeln? Insbesondere Ton uns Licht können Räume verändern, sie erweitern, miteinander verbinden, sie verschwinden oder erst entstehen lassen. – Der Technische Leiter des Experimentiertheaters Gerd Budschigk konstruiert mit Ton und Licht verschiedene Räumlichkeiten und verschiebt so immer wieder die Grenzen der Raumwahrnehmung und des Wahrnehmungsraumes.

ca. 20:40 Uhr: »Seele im Ellenbogen. Szenisches Experiment zu Kleists ›Marionettentheater‹«. Ein performativer Beitrag von Anna Kampen

In dem Text „Über das Marionettentheater“ berichtet Kleist von einem Gespräch mit einem Tänzer, der behauptet, eine Marionette habe mehr künstlerische Qualität als jeder Mensch, dessen Bewegungen durch den Raum Grenzen gesetzt seien. Diese Grenzen könne eine Marionette überschreiten, „weil die Kraft, die sie in die Luft erhebt, größer ist, als jene, die sie an der Erde fesselt.“ Sie kann den physikalischen Gesetzen auf der Nase herumtanzen. Doch muss unbedingt die Schwerkraft überwunden werden, um eine neue Räumlichkeit zu erschaffen? Wir wollen den Zusammenhang von Bewegung und Raum szenisch untersuchen. Wie lassen sich Bewegungsimpulse übertragen und wie verändern sie die Raumwahrnehmung? Worin unterscheiden sich die Bewegungen von Mensch und Marionette? Welche Differenzen sind überwindbar? Das szenische Experiment wirft die Frage auf, welche Relevanz und Produktivität sich in Kleists These für die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von performativen Prozessen und Räumlichkeit verbergen.

21 Uhr: »Frauen im Orbit«. Ein Vortrag von Sven Grampp

Ausgehend von der Berichterstattung über die erste sowjetische Kosmonautin im Erdorbit Anfang der 1960er Jahre spannt Sven Grampp den Bogen über diverse filmische Fiktionen der Frau im Weltall hin zu einer Physikstunde, die jüngst die Taikonautin Wang Yaping live aus dem Erdorbit abgehalten hat für knapp 80.000 Schulen in China gleichzeitig. Hintergrund: Mediale Repräsentationen und Imaginationen von Frauen im Weltraum werden auf Grundlage der gender studies untersucht. Kontext: Erfahrungsraum Erdorbit und das Experimentiertheater im Orbit des Audimax.

ca. 21:30 Uhr: »Macro Cinematography: Die Unendlichkeit in einer Petrischale«.Ein performativer Beitrag von Roman De Giuli

Die Darstellung von kleinsten Räumen und Ob- jekten in makroskopischen Abbildungsmaßstäben ist eine noch junge Gattung der experimentellen Kinematographie. Vor allem durch die Anwendung filmender Fotoapparate können die Prinzipien der Nahfotografie adaptiert und auf die filmische Ebene übertragen werden. Zudem ermöglicht die kontinuierliche Bildaufzeichnung die Beobachtung von einzigartigen Bewegungsphänomenen, die dem menschlichen Auge für gewöhnlich ebenso verborgen bleiben wie die vielen Farben, Formen und Texturen von Makrowelten. Die Größe des Raumes erfährt hierin eine paradoxe Transformation, da sich die Definition von groß und klein sowie nah und fern durch den subjektiven Sinneseindruck einer klaren metrischen Zuordnung entzieht. Je stärker die Vergrößerung, desto weiter entfernt scheint die Kamera von der Bildebene entfernt; und so wirkt die Naheinstellung zwei sich vermischender Tropfen aus Öl und Tinte wie ein supertotales Satellitenfoto aus dem Weltall. Zwischen Wolken aus Ethanol, Strömen aus Druckertinte und Strudeln aus Wasserstoffperoxyd begeben wir uns auf die Suche nach einer universellen Erkenntnis, welche hervorgeht aus der perfekten Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Technik.

Und im Kinderprogramm von 14 bis 17 Uhr:

Pantomimisches Spiel mit Werner Müller

Pantomimische Mitspielaktion im Experimentiertheater mit Studentinnen und Studenten der Theater- und Medienwissenschaft: Wir besuchen einen Trollwald, einen pantomimischen Zirkus und fliegen mit einer Rakete ins Weltall zu fremden Planeten und Sternen. Eine Aktion für alle Kinder und Erwachsene, die gerne Theater spielen. Dieses Angebot ist auf maximal  20  Kinder pro Durchgang beschränkt und daher anmeldepflichtig. Eine Anmeldung ist bis einschließlich 22. Oktober per Mail (kinderprogramm[at]kulturidee.de) möglich.